29. April 2020
Wie muss ein Stromnetz optimal für die Elektromobilität gestaltet werden? Wie lassen sich auch Mehrfamilienhäuser in die Mobilitätswende mit einbeziehen? Das sind die zentralen Fragen eines Modellprojektes, das die Netze BW in Tamm vor dem Hintergrund von gesetzlichen Neuregelungen durchführt
Stuttgart/Tamm. Viele Bewohner von Mehrfamilienhäusern würden sich gerne ein Elektroauto zulegen. Doch ohne eigene Lademöglichkeit zuhause ist das für die meisten unattraktiv. Denn auf Grundlage der aktuellen Gesetzeslage müssen Eigentümergemeinschaften dem Bau von Ladestationen in gemeinsam genutzten Tiefgaragen zustimmen – und zwar einstimmig. Eine jüngst beschlossene Änderung des Wohnungseigentumsgesetzes verspricht eine Verbesserung der Situation: Künftig soll eine einfache Mehrheit der Stimmen genügen. Außerdem greift das „Gebäude-Elektromobilitätsinfrastruktur-Gesetz (GEIG)“ das Thema „Privates Laden“ auf. Das von der Bundesregierung ebenfalls kürzlich auf den Weg gebrachte Gesetz schreibt die Vorbereitung von Stellplätzen für Lademöglichkeiten in Neubauten und bei größeren Sanierungsmaßnahmen in Bestandsgebäuden vor. Beide gesetzlichen Maßnahmen dürften zu einem Hochlauf der Elektromobilität beitragen – insbesondere in Mehrfamilienhäusern.
Doch was bedeutet das dann für das Stromnetz? Wann stößt es möglicher-weise an seine Grenzen und welche Maßnahmen sind notwendig und sinnvoll, um dies zu verhindern? Um auf die neuen Herausforderungen vorbereitet zu sein, will die Netze BW GmbH herausfinden, wie die Netzintegration von Elektromobilität in Mehrfamilienhäusern am besten gelingen kann. In seinem sogenannten Netzlabor „E-Mobility-Carré“ in Tamm (Landkreis Ludwigsburg) testet das Stuttgarter Unternehmen ein Jahr lang unter realen Bedingungen, welche Hausanschlussleistung für das Laden zuhause mindestens benötigt wird. Beziehungsweise welche Leistung ausreichend ist, ohne Komforteinbußen befürchten zu müssen – sprich: dass neben dem störungsfreien Betrieb aller Stromverbraucher im Haushalt ebenfalls gesichert ist, dass die Akkus von E-Fahrzeugen morgens vollgeladen zur Verfügung stehen.
Im Rahmen des Projektes unterziehen 48 Haushalte der Wohnanlage „Pura Vida“ das lokale Stromnetz einem besonderen Stresstest. Dafür hat ihnen die Netze BW insgesamt 45 e-Golfs und BMW i3 zur Verfügung gestellt und die Tiefgarage mit einem Ladesystem ausgestattet. Bis Ende 2020 wird untersucht, was es für das Stromnetz heißt, wenn eine so große Anzahl an Elektrofahrzeugen in einem Mehrfamilienhaus genutzt wird – wie es bei der geänderten Gesetzeslage möglicherweise schon bald vielfach im ganzen Land der Fall sein könnte. Pura Vida würde so zur Blaupause für elektrifizierte Tiefgaragen werden.
„Uns treibt die Frage an, wie wir die Infrastruktur unserer Stromverteilung optimal gestalten können, damit eine zunehmende Zahl an Elektrofahrzeugen – auch zeitgleich – geladen werden können“, erläutert Netze BW-Geschäftsführer Dr. Martin Konermann die Beweggründe für das Projekt. „Insbesondere bestehende Mehrfamilienhäuser sind dabei eine Herausforderung.“ Darum prüfe der Netzbetreiber exemplarisch vor Ort im E-Mobility-Carré, wie dort die Stromversorgung an die neuen Anforderungen angepasst werden muss. „Im Netzbetrieb von heute erproben wir hier in Tamm bereits das Netz von morgen“, so Konermann.
Der Präsident des Fachverbandes Elektro- und Informationstechnik Baden-Württemberg Thomas Bürkle begrüßt das Projekt und ist schon auf die Ergebnisse gespannt: „Wann benutzen die Kunden das Auto, wann und wo werden diese Fahrzeuge wieder aufgeladen und welche Besonderheiten gibt es beim Nutzerverhalten in Mehrfamilienhäusern. All diese Erkenntnisse geben uns wichtige Impulse für die individuelle Auslegung und Installation künftiger Ladeeinrichtungen für E-Mobile. Damit werden wir die Schnittstelle zu den Netzbetreibern weiter optimieren können.“
Die Netze BW treibe die Alltagstauglichkeit der Elektromobilität voran, erklärt Konermann. Mit Initiativen wie dem E-Mobility-Carré ebenso wie mit fortlaufender Optimierung und stetigem Ausbau der Netzinfrastruktur. Da-für plane das Unternehmen bis 2025 zusätzliche Investitionen in Höhe von 500 Millionen Euro in seinem Netzgebiet.
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